„Du musst einfach an dich glauben“ – Fabers Abgesang auf den Mono-Gott

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit findet man sie noch: die antiquierte Textform der Musikrezension. Schon die Rezeption eines Albums als Album wirkt in Zeiten von Spotify aus der Zeit gefallen. Doch es gibt sie, die Gegenbewegung, auf Seiten der Künstler wie der Rezipienten. Folgt man Foucault, dann ist dieses ganze Feld, in dem sich die populäre Musik bewegt, durchzogen von Mikro-Vektoren der Macht. In diesen produktiv-destruktiven Strudel wird gezogen, wer sich der Musik heute noch im Modus der schwärmerisch-ambitionierten Rezeption zuwendet. Bei der KI geht angesichts solcher Ansprüche der Alarm los: „Wer eine persönliche, subjektive oder niedrigschwellige Rezension erwartet, könnte sich ausgeschlossen fühlen.“ Solches Bedenken wirkt nur so lange treffend, wie man die Ausschlüsse übersieht, die durch künstliche Vereinfachung und künstlerische Verniedlichung der Rezipienten betrieben werden.

Für den Versuch, ein Werk als Werk ernstzunehmen, braucht es einen geeigneten Widerpart. Das neue Album von Faber ist so einer. Schon das Album-Cover verhandelt die Machtströme selbst. Wir sehen, wie sich der Protagonist im Kampf mit sich selbst und seinen zahlreichen Dämonen befindet. Das alles angelehnt an den Stil eines barocken Ölgemäldes – und damit nicht zufällig auch die treffende Verortung für eine atmosphärische Unterströmung der Jetztzeit als eben dies: barock.

Die barocke Unterströmung zieht sich durch das ganze Album. Es ist ornamental, mehrsprachig, vielstimmig, pathetisch, widersprüchlich, prächtig. Seine Instrumentierung verbindet dabei den typischen Fabersound mit elektronischen und kirchenmusikalischen Elementen. Die Musikeinflüsse reichen von Bach über sizilianische bis hin zu orientalischen Klängen. Dieser Überschuss ist dabei nicht einfach ein Ausdruck sprießender Lebenskräfte, keine botanische Geilheit. Die produktiven Kräfte selbst verursachen vielmehr einen Riss, der das Werk nicht nur aufspaltet, sondern tiefere Bedeutungsschichten freilegt.

Angelehnt an die Struktur des Drehbuchs gibt es einen Midpoint, an dem der durch die Ouverture bereits latent angedeutete Stimmungswechsel durchbricht. Mitten drin, im Song „Leon“, öffnet sich der Fabersound einer metaphysischen Dimension – mit dem Einsatz des Kirchenchors und einer reicheren Instrumentierung.

Im Rückblick entpuppen sich viele Songzeilen der ersten Albumhälfte als subtile Auseinandersetzung des Protagonisten mit höheren Kräften. Die psychologische Einsicht drängt empor, dass die dyadischen Beziehungsgefühle, die Gefechte zwischen Verliebtsein, Trennung und Versöhnung einen dunkleren und lichteren Ursprung haben. Wenn es heißt: „Ich war gefangen, Jahre lang gefangen in deinen Fängen“, dann geht es nur auf der Oberflächenebene um das Verhandeln toxischer Beziehungsdynamiken. Es geht eher um die Fänge der Dämonen, die innerhalb der Beziehungsdynamik das eigentliche Gift sprühen. Es geht um Depression, eigene Schatten und vielleicht geht es sogar um noch mehr: um die Götter in uns.

Auch wenn ein Song „Deus“ heißt, so geht es doch eigentlich um die Pluralität des Göttlichen im Menschlichen. Denn es ist gerade der Mono-Gott, der bekennt: „Ich habe versagt“. Das kann man als Geständnis eines zur Selbstüberhöhung neigenden Ego deuten. Reicher aber lässt es sich als Eingeständnis des Mono-Gottes deuten, der seine absolute Ohnmacht vor der Gemeinde bekennt. Es ist Gottes Antwort auf die Theodizee-Frage: „Ich bring keinen Frieden, kann den Krieg nicht beenden.“ In einem früheren Essay zu Odo Marquards Denken sind wir auf dieses Thema schon einmal gestoßen: den von seiner eigenen Schöpfung freigestellten Gott. Bei Faber ist dieser Gott nicht nur arbeitslos, sein Werk erweist sich als Enttäuschung. Hier gibt es keine Heiterkeit im Scheitern mehr, hier wohnen wir dem Depressivwerden eines Gottes bei.

Das deutete sich bereits ein. In dem wohl massentauglichsten (und meist geklickten) Song „Leon“ erleben wir noch den postmodernen Mono-Gott, der sich verzweifelt am Imperativ der langen Jetztzeit festhält: „Du musst einfach an dich glauben.“ Schon hier setzt der Chor ein: „Halleluja, Halleluja!“ Der Song ist nicht nur eine Kritik an der digitalen Selbstinszenierung jünger Männer („Schau, mein Bizeps, alles hart / Pick-up-Art“) und ihrer impliziten Frauenverachtung („Verrat mir deinen Nam’n, huh, du bist eine 10 von 10“). Hier wird die Grenze zwischen Gegenwartsdiagnose und Tiefenhermeneutik eingerissen. Nicht intellektuell-analytisch, sondern als innerpsychisches Geschehen: „Ich reiß auf wie der Himmel“ antwortet damit – fast prophetisch – dem späteren „Du kannst den Küchenphilosophen nicht mehr hören“.

Kann eine Rezension mehr tun als diese Wandlungen nachvollziehen? Ja, sie kann diese ausdeuten: Im Modus einer Operation am Werk, bei dem man den Klangkörper einmal aufschneidet und dann wieder zunäht – so nahtlos wie möglich, wie auf Zehenspitzen, wenn man zu spät zum Gottesdienst erscheint. Doch das Album erwartet von uns keine falsche Pietät. Im Gegenteil, wir sollen und müssen mit hineingeraten in den Abgrund unseres inneren Gottes.

Und da ist es wieder: „Du musst einfach an dich glauben“. Man kann diesen Satz verschieden ausleuchten. Er ist eine versteckte Antwort auf die erste Textzeile des Albums: „Ich bin ganz allein, ganz allein mit dem Gefühl allein zu sein.“ Dann versteht man bereits, warum man an sich glauben muss. Weil es sonst niemand tut. Das sind keine First-World-Probleme, das sind die Leiden des Mono-Gottes, der in uns allen seine falsche Triumphe feiert. Das eigentliche Motiv des An-sich-glauben-Müssens ist die Verzweiflung. Konkret darf man hier an den Begriff der Verzweiflung bei Kierkegaard denken. Es geht um das Man(n)-selbst-sein-Wollen. Doch gerade das führt in die Verzweiflung, das ist die Verzweiflung angesichts der eigenen Vergänglichkeit. Von hierher muss man das titelgebende „Addio“ als Geste des Abschieds und Abgesangs verstehen.

Was, wenn überhaupt, herausführt, deuten die letzten Songs des Albums nur an. Etwa, wenn der Faber-Sänger im Duett mit seinem Vater zusammenfindet und der Chor schließlich einsetzt: „E mi parra si tu.“ Hier schwemmt die Musik den Mono-Gott fort. An den Strand gespült erwacht er als Poly-Glott. So erscheint der Horizont des Albums als Möglichkeit eines „Du!“. Die stille Frage, die mitklingt, ist die, ob wir an ein solches „Du“ – durch alle Deutungsschwierigkeiten hindurch – noch glauben können. So führen – wenn überhaupt – alle Fäden bei einem Gegenüber zusammen, vor dem der Mono-Gott beichtet, einem Gegenüber, das ihn anhört, das hinhört, das zwischen den Zeilen mithört – und bereit ist, sich ansprechen zu lassen. In einen solchen Kreis von Zuhörern einzutreten, bedarf eines eigenen Beitrags. Manchmal ist es gerade das vermeintlich Exklusive, das uns – unerwartet – willkommen heißt.

Bildnachweis:
Albumcover: Faber – „Addio“ (Vertigo Berlin, 2024). Die Abbildung erfolgt im Rahmen des Zitatrechts (§ 51 UrhG) zur kritischen Auseinandersetzung und Analyse im Kontext dieser Rezension. Alle Rechte am Cover liegen beim jeweiligen Urheber bzw. Label.

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