Nie gelber das Feld

Eigentlich machen wir hier keine Musikrezensionen. Ich weiß auch gar nicht, wie das geht. Ich muss ganz schön frisch verliebt sein, um es trotzdem zu versuchen. Und der Grund? Das neue Album von Bilderbuch.

Zugegeben, ist das keine Scheißzeit für die erste Liebe? Nicht minder für die siebte oder dreizehnte. Eine nicht endende Pandemie, nur nachlassende Aufmerksamkeit und die ihr eigentümlichen Widersprüche: Waren die Leute nicht vorgestern noch Maskensheriffs? Heute kam ich mir schon wie ein ewig Gestriger vor, weil ich beim Kuchenkauf (gab kein Brot mehr) im Café mit Maske dastand – als einziger. Aber sei es drum.

Psst, der beste Text zur (vorläufigen) Coronabilanz stammt übrigens von einem Könner der ebenso lustigen wie paradigmatischen Alltags-Selbstbeobachtungen: Jochen Schmidt.

Frisch verliebt erträgt man sogar den Gedanken an den drohenden Atombombenhagel. Nicht nur ist die Geschichte endgültig zurück, sondern auch die Möglichkeit ihres abrupten Endes: „Alles ist hier nur for rent. / Keiner will ein Open End.“

Wir müssen erst neu lernen, dass die Menschen auch in den schlimmeren Zeiten versuchten, ein Leben zu leben. Den wenigsten stellt sich die Theodizee-Frage morgens nach dem Aufstehen. Und schlechtes Gewissen ist keine Haltung.

Was der Krieg mit dem Blick auf die Welt machen kann, könnte man heute mal wieder bei Andreas Gryphius lernen:

„Du sihst/ wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut/ reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn/ wird eine Wiesen seyn/
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.“

Dass wir alle im atomaren Feuer verglühen könnten, wissen auch wir mindestens seit „Feinste Seide“: „Und sie tanzen wie die Fliegen um das Fleisch“. Wenn Friedrich Merz jetzt mahnt, dass „wir“ bald alle weniger Wohlstand genießen werden, dann haben wir schon wieder vergessen: Friedrich Merz glaubt sich der oberen Mittelschicht zugehörig.

Verdrängung tut der Seele gut. Ganz ähnliches gilt für die Liebe. Also geht es jetzt mit Bilderbuch „bergauf“: „Wir sind zu weit weg, um nah zu sein (…) Nichts ist falsch und alles ist wahr, lalalala. Liebe ist just Fiction, nur Fantasie. We must believe. We must believe.“

Das ist kein Schlager. Nicht mal von der unfreiwillig komischen Sorte wie die selbstkritiklose Anti-Gammler-Hymne „Wir“ von Freddy Quinn, wo man beim Zuhören heute gleich das ganze verkehrte Wesen einer Generation sich in Lächerlichkeit auflösen sehen meint.

„Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? Wir! (…)

Denn jemand muß da sein, der nicht nur vernichtet,
Der uns unseren Glauben erhält,
Der lernt, der sich bildet, sein Pensum verrichtet,
Zum Aufbau der morgigen Welt.“

Wer von den alten und neuen Selbstgewissheiten verschont bleibt, darf ins Freie flüchten und da war nie gelber das Feld. (Muss ja nicht gleich die FDP sein.) „Die Sonne scheint immer wieder in ein neues Gesicht.“ Das muss man alles nicht so unpolitisch lesen, wie es sich natürlich lesen lässt. „Meine Welt ist in a shake. / Schuscha, schuscha, schuscha. / Diese Welt ist in a change. / Schuscha schuscha schuscha.“

Auch andere Zeilen klingen nur auf den ersten Blick wie vergriffene Romantik: „Nur für eine Nacht und ich weiß nicht wie / der Mond fällt vom Himmel und ich lass ihn ziehen.“ Da geht er doch, der gelbe Schattenfürst auf bösem Pfad.

Und doch spinnen Bilderbuch im Tunnel, den sie die Liebe nennen, ein Licht. Es bleibt auch nach vielen Durchläufen das Gefühl, die Sprache der Liebe könne uns etwas über den Umgang mit ihren Gegen-Teilen lehren. Bergauf, we must believe.

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