Philosophie auf dem Bau

Was wäre, wenn Philosophie und Handwerk im Arbeitsalltag aufeinanderträfen? Im folgenden Beitrag möchte ich die Möglichkeiten dieser herausfordernden Konstellation mit Euch gemeinsam erkunden. Es handelt sich um eine fiktionale Reportage.

Berlin Marienfelde, 10. März 2025

Es ist noch früh am Morgen, als der Philosoph den gelben Schutzhelm aufsetzt und die Baustelle betritt. In der beschaulichen Wohngegend in Berlin-Marienfelde zwitschern die ersten Vögel. Das Einfamilienhaus ist rundum von Gerüsten umstellt. Im Vorgarten stapeln sich die Arbeitsmaterialien. Doch etwas irritiert mich: Kein Baustellenlärm durchbricht die morgendliche Ruhe.

Seit Jahresbeginn arbeitet Dr. Philipp Köpfert bei INNOVA, einem mittelständischen Unternehmen, das sich auf die energetische Sanierung von Privathäusern spezialisiert hat. Es ist kalt, also bleiben wir in Bewegung. Der Bauleiter führt uns durch das Gebäude. Auf dem Weg nach oben erläutert er uns das prinzipielle Vorgehen: „Bei solchen Projekten gehen wir immer von außen nach innen vor. Zuerst wird das Dach gemacht, später geht es an die Dämmung der Außenfassade und den Einbau neuer Fenster. Heizung und Elektrik kommen erst ganz zum Schluss.“

Als wir direkt unter dem Dach angelangt sind, steckt der Bauleiter die Hände in die Hosentaschen: „Das ist hier auch so ne Baustelle. Erst wollten die Kunden eine Photovoltaik-Anlage, dann haben sie es sich doch anders überlegt.“ In den letzten Jahren ist der Einbau der Anlagen bei Privatkunden in der ganzen Branche zurückgegangen. Die Kunden sind verunsichert, ob sich ein Einbau für sie langfristig lohnt. Hohe Zinsen und Inflation wirken da auch nicht gerade förderlich. Viele wollen darum abwarten.

Noch schlimmer wirkt sich aber der Fachkräftemangel aus. Der führt nicht nur zu längeren Wartezeiten, Projekte kommen immer öfter nicht zustande. Ausgerechnet hier soll nun die Philosophie helfen?

Das Unternehmen interessiert sich natürlich nicht für die Platon-Lektüre. Es ist die „Philosophische Praxis“, von der man sich neuen Schwung erhofft. Während wir den Bau besichtigen, stellt Philipp Fragen, hört zu, nickt. Er bewegt sich durch die Räume ähnlich wie ich als Reporterin: behutsam, als könnte er mit einem falschen Schritt eine Wand einreißen. Noch ist Philipp ein Fremder in dieser Welt.

Nachdem wir die Baustelle besichtigt haben, fahren wir zurück ins warme Büro. „Es ist ein Schritt ins Ungewisse“, bestätigt Philipp. „Bei Unternehmensberatungen sind Philosophen als Generalisten gern gesehen. Aber ein angestellter Philosoph im Unternehmen? Das gibt es eigentlich nicht.“ Philipp ist nur ein Beispiel aus der Presse bekannt. Beim Centraltheater in Leipzig war Guillaume Paoli fünf Jahre als Hausphilosoph tätig. „Das ist aber auch schon über 10 Jahre her. Und es war ein Projekt in der Kreativbranche“, betont Philipp. Es sei ein „Glücksfall“, dass die Geschäftsführung bei INNOVA dieses Wagnis eingehe.

Wie muss man sich die Stelle als Philosoph im Unternehmen vorstellen? Philipp wägt ab: „Meine Tätigkeit ist ein Spagat. Auf der einen Seite gibt es konkrete Probleme, zu denen sich das Unternehmen eine Lösung wünscht.“ Für INNOVA stellt der Fachkräftemangel ein echtes Problem dar.

Auf der anderen Seite soll Philipp neue Perspektiven eröffnen. „Ich suche nach Problemen, die keiner sehen will – wie ein Trüffelschwein für unangenehme Wahrheiten.“ Hinzu kommt, dass Philipps Einsatzgebiete sich im Verlauf seiner Anstellung erst finden werden. „Gerade in der Anfangsphase stelle ich viele Fragen. Ich möchte ein Verständnis für das Ganze bekommen. Und ich muss ja nicht nur dem Unternehmen, sondern auch mir klar machen, was ich hier eigentlich tue.“ Das ist keine einfache Position in einer Branche, bei der es ums Zupacken und Ranklotzen geht. „Wenn ich es ganz kurz fassen müsste, würde ich sagen: Ich agiere im Unternehmen aus einer Position der involvierten Distanz.“

Was motiviert ihn zu so einer widersprüchlichen Tätigkeit? „Mich hat immer schon die Frage interessiert, wie sich die Teile zum Ganzen verhalten. Während meiner Promotion habe ich mich sehr tief in das Thema reingekniet. Die Abstraktion hat mich nicht gestört. Aber im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass niemand mit den faszinierenden Einsichten der Mereologie etwas anfängt.“ Was er an der Universitätsphilosophie oft vermisst habe, meint Philipp, sei „Selbstwirksamkeit“.

Philipp sieht natürlich die Gefahr, dass die Philosophie sich in der Arbeitswelt verstellen muss, um etwas bewirken zu können. Dagegen setzt er auf ihren Eigen- und Mehrwert. Während Philipp an der Universität „unter seinesgleichen“ geblieben wäre, hat er bei INNOVA eine Sonderrolle. „Das hat Vor- und Nachteile. Ich genieße eine große Freiheit bei meiner Arbeit. Aber ich muss auch schauen, dass ich niemandem ins Gehege komme.“ Er lacht: „Nicht, dass ich noch jemandem die Arbeit wegnehme.“

Geschäftsräume INNOVA, Berlin Mitte, 12. Mai 2025

Acht Wochen später treffe ich Philipp wieder – und nicht nur ihn. Für einige Mitarbeiter des Unternehmens beginnt die Arbeitswoche mit einer philosophischen Teamsitzung. Als die ersten Mitarbeiter den Raum betreten, blicke ich in so erwartungsvolle wie skeptische Gesichter. Schnell ist die Runde vollständig: Zwei Elektriker, ein Heizungsmonteur, ein Dachdecker und ein Energieberater sitzen zusammen und warten, dass es los geht. Der Monteur reibt sich unschlüssig die Hände. Meine Anwesenheit als Reporterin macht die Sache auch nicht gerade einfacher.

„Ich möchte Sie bitten, den anderen ein Werkzeug vorzustellen, das für Ihre Arbeit unverzichtbar ist!“ Was wie eine kreative Vorstellungsrunde beginnt, verwandelt sich durch Philipps Nachfragen langsam in ein Gespräch über Baustaubsauger, Spannungsprüfer und Wasserwaage. Philipp will wissen, welche Bedeutung die Werkzeuge für die Handwerker haben. Und wie die Werkzeuge die Wahrnehmung ihrer Arbeit prägen. Ich merke, die Mitarbeiter sind es nicht gewohnt, so über ihre Arbeit zu sprechen.

Philipp lenkt das Gespräch nur sanft. Durch seine Fragen bringt er neue Perspektiven ein, wenn die Gruppe nicht mehr weiter weiß oder sich die Beiträge zu wiederholen beginnen. Am Ende der Stunde spricht die Runde über die „Chemie“ am Arbeitsplatz. Es geht um die Müdigkeit nach einem langen Arbeitstag. Und auch die Hektik, das Wandern von Baustelle zu Baustelle wird zum Thema. „Manchmal hat ma’ das Gefühl, dass es nie ein Ende nimmt“, murmelt der Monteur. Hier bekommt das Gespräch eine unerwartete therapeutische Wendung.

Philipp bedankt sich bei allen. Er wirkt auf mich nach der ersten Sitzung erleichtert. Wie nachhaltig wirken solche Gespräche?, frage ich Philipp später. „Von heute auf morgen ändert sich nur wenig. Deshalb testen wir ein regelmäßiges Format: Einerseits steht die Erfahrungswelt der Mitarbeiter im Fokus, andererseits wird gezielt die Reflexion eingeübt – die Fähigkeit, das eigene Tun aus einer Außenperspektive zu betrachten.“ Philipp macht eine kurze Pause und fügt hinzu: „Erst wenn die verschiedenen Bausteine zusammenkommen, kann eine neue Teamkultur entstehen. Aber so ein Prozess braucht Zeit und Geduld.“

Büro des Geschäftsführers, 3. Juli 2025

„Entschuldigen Sie die Verspätung“, begrüßte mich der Geschäftsführer, Herr Bremer, in seinem Büro. „Ich hatte noch ein wichtiges Telefonat zu erledigen.“ Eher beiläufig erkundige ich mich: „Ein Kunde?“ Herr Bremer räuspert sich. „Ehrlich gesagt musste ich mich noch um eine Schulangelegenheit meines Sohnes kümmern.“ Wir schmunzeln beide und ich mache mir eine Notiz: Bauunternehmer können auch Väter sein! Aus irgendeinem Grund habe ich ein Ausrufezeichen gesetzt.

Wir sprechen über das weiterhin drängende Fachkräfteproblem. „Bevor Herr Köpfert zu uns gekommen ist, hatten wir bereits einiges versucht. Flexiblere Arbeitszeiten, Quereinsteigerprogramme. Wir haben viel getan, um uns als attraktiver und unkonventioneller Arbeitgeber in der Baubranche zu positionieren.“

Die Entscheidung, den Philosophen ins Team zu holen, hatte die Geschäftsführung zunächst im Hinblick auf das Personalmarketing getroffen.

„Wir hatten in dem Bereich auch bereits in eine Imagekampagne investiert. Das war als Projekt in unserer Kommunikation nach außen gedacht. In den Gesprächen mit Herrn Köpfert wurde uns klar, dass wir das Thema ganzheitlicher angehen wollen.“

Unter dem Stichwort „Employer Branding“ setzen auch mittelständische Unternehmen heute vermehrt auf eine starke Arbeitgebermarke, um Fachkräfte anzuziehen. Doch ich verstehe noch nicht, wie die Philosophie hier ins Spiel kommt. „Wenn sie nur mit einer neuen Botschaft nach außen gehen, dann versanden solche Investitionen oft. Sie haben dann schöne Imagefilmchen, aber schon im Bewerbungsgespräch hakt es. Die Selbstdarstellung wirkt dann aufgesetzt.“

Philipp hat mit der Geschäftsführung und der Personalabteilung zusammen über drei Monate Gespräche nach der Methode des sokratischen Dialogs geführt. Das ist ein Gesprächsformat, bei dem durch eine bestimmte Fragemethode gemeinsame Einsichten gewonnen werden. „Wir versuchen, INNOVA jetzt mehr als lebendigen Organismus mit einer einzigartigen Persönlichkeit zu verstehen.“ Das bedeutet, dass sich eine Arbeitgebermarke nicht einfach verordnen lässt. „Klassischerweise versteht man ein Unternehmen ja von der Geschäftsleitung her. Zu sagen: INNOVA hat nicht nur Ziele und Visionen, es hat auch eigene Bedürfnisse und Wünsche, eine intrinsische Entwicklungsdynamik. Das ändert die Art, wie wir über die Zukunft des Unternehmens nachdenken.“

Teil des veränderten Selbstverständnisses betrifft auch die Mitarbeiterführung. „Wir nehmen jetzt ernster, dass unsere Mitarbeiter ein eigenes Gespür dafür haben, wohin das Unternehmen will. Das ist leicht dahin gesagt. In der Praxis bedeutet es aber, dass ich mir die Ansichten meiner Mitarbeiter wirklich anhöre. Und dafür muss ich Zeit finden und einplanen.“

Das Unternehmen setzt darauf, dass sich das Engagement für die Mitarbeiter langfristig lohnen wird. Die Gesprächsrunden zwischen Büro und Baustelle haben dabei auch zu neuen Einsichten geführt. So zeigte sich, dass die Handwerker oft ein ambivalentes Verhältnis zu den Kunden haben.

„Ich wusste nicht, wie unterschiedlich wir unsere Kunden wahrnehmen“, gesteht der Geschäftsführer. „Für mich standen immer Kundenzufriedenheit und Flexibilität im Vordergrund. Jetzt verstehe ich manche Herausforderungen meiner Leute auf der Baustelle besser.“

Die Philosophie hat hier immer wieder Anregungen geliefert. Etwa mit „Kopfstandfragen“. Eine, die Herrn Bremer nicht mehr loslässt, lautet: „Was wäre, wenn wir unsere Kunden wie unsere Mitarbeiter behandeln würden?“ Herr Bremer schüttelt den Kopf. „Das geht nicht. Du kannst deine Kunden nicht auf Händen tragen und deine Mitarbeiter als Wunscherfüller betrachten.“ Wir müssen beide lachen. „Wir versuchen jetzt immer wieder zu schauen: Inwiefern sind wir hier im Unternehmen auch alle Kunden? Und was sollten wir darum anders machen? Das ist eine Frage, die uns noch lange beschäftigen wird.“

Lichterfelde, 10. September 2025

Ich begleite die Firma INNOVA heute wieder bei einem Außentermin. Wir sind in Lichterfelde im Süden von Berlin unterwegs. Es ist früher Nachmittag. Viele Kinder kommen gerade aus der Schule nach Hause. Energieberater Herr Simmon klingelt an der Haustür bei Familie Schulte. Philipp und ich stehen neben ihm und bilden eine lustige kleine Reihe. Ein bisschen komme ich mir vor wie einer der Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar.

Im Vorgespräch hat Philipp den neuen Ansatz erklärt: „Der Erstkontakt des Kunden zum Unternehmen fand über den Energieberater statt. Aber beim Hausbesuch kann ich nun andere Felder abdecken, die in der Beratung oft keinen Ort haben. So lassen sich Missverständnisse vermeiden. Und es können sich neue Ideen ergeben, die möglichst früh in der Planungsphase geprüft werden müssen.“

Der Energieberater führt heute eine gründliche Inspektion des Hauses durch. Philipp setzt sich mit Familie Schulte zusammen. Bei einer Tasse Tee sprechen sie über die Sanierung. Bald kommt Herr Schulte auf die Nachbarschaft zu sprechen: „Wenn man hier durchs Viertel läuft, sieht man ja so einiges. Manche Sanierungen wirken im Ergebnis oft steril.“ Frau Schulte sieht das ähnlich: „Ich habe Angst, dass unser schönes Haus seinen Charme verliert.“

Auch über den Begriff der Sanierung selbst sprechen sie. „Bei Sanierungen denken viele Menschen vor allem daran, etwas zu erneuern oder zu verbessern“, erläutert Philipp. „Aber in dem Wort steckt eben auch die Idee, etwas wiederherzustellen. Das ist eine Form der Heilung, die eher auf das ursprüngliche Ganze zielt. Insofern kann ich Ihre Bedenken gut verstehen. Es geht Ihnen ja nicht nur um geringere Nebenkosten.“

Frau Schulte fühlt sich verstanden: „Man möchte sich doch irgendwo auch sicher und geborgen fühlen.“

Philipp nickt. „Die vier Wände stellen für Menschen immer auch einen Lebenskompass dar. Und wenn da etwas nicht stimmt, merken sie das auch.“

Später werden sich Philipp, der Energieberater und ein Bauleiter zusammensetzen und einen Sanierungsfahrplan erarbeiten. Philipp erläutert in einem Nachgespräch: „Eine Komplettsanierung ist ein großer Schritt. Die Entscheidung dazu fällt vielen Menschen nicht leicht. Damit sind nicht nur hohe Kosten und Umstände verbunden. Es gibt ein Bedürfnis bei den Kunden, nicht nur über die technische Seite der Sanierung zu sprechen.“

Und inwiefern lohnt sich so ein Zugang für das Unternehmen? „Wir hatten jetzt schon Fälle, in denen die philosophische Reflexion zu Änderungen der Kundenwünsche geführt hat. In einem Fall hatten die Kunden mit einem Teil der Sanierung gezögert. Im Gespräch wurde dann aber klar, dass sie lieber alles auf einmal machen wollen. In einem anderen Fall haben die Kunden hingegen auf eine Maßnahme verzichtet.“

INNOVA setzt darauf, dass sich die bisweilen uneigennützige Beratung auszahlen wird. „Es gibt leider in der Energieberatung immer wieder Betrug am Kunden. Da werden teure, bisweilen völlig ineffiziente Maßnahmen empfohlen. Das geht schnell in die Tausende. Und wenn sich eine Maßnahme als energetisches Fiasko herausstellt und man nochmal ran muss, kann man noch eine Null dranhängen. So etwas ist mit einer ethischen Unternehmensführung nicht vereinbar. Umgekehrt gilt: Eine fachgerechte, ganzheitliche Beratung spricht sich herum.“

Geschäftsräume INNOVA, 07. November 2025

Es liegt eine turbulente Woche hinter Philipp und der INNOVA. Auf einer Baustelle ist es zu einem Arbeitsunfall gekommen. Bei Vorarbeiten zur Fassadendämmung hat eine Hilfskraft versehentlich den Auslöser des Hochdruckreinigers betätigt. Ein harter Wasserstrahl trifft einen der Facharbeiter unerwartet am Bein, er stolpert auf dem rutschigen Boden und schlägt mit der Hand gegen die Hauswand. Kurz darauf stellt sich heraus: eine schmerzhafte Verstauchung.

Auch wenn das Ganze glimpflich ausgegangen ist, hat das Unternehmen jetzt ein Problem. Der betroffene Facharbeiter weigert sich weiter auf der Baustelle zu arbeiten.

Philipp hat die involvierten Mitarbeiter direkt angesprochen und ermutigt, das Problem selbst anzugehen. „Der erste Schritt sollte von den betroffenen Mitarbeitern ausgehen.“ Damit dies möglich ist, hat er die Geschäftsführung gebeten, nicht verfrüht einzugreifen.

„Ich sehe meine Rolle nicht darin, Probleme für das Team zu lösen“, erklärt Philipp. „Das führt oft nur dazu, dass unangenehme Aufgaben weitergereicht werden – eine Art kollektive Prokrastination, die Prozesse unnötig verkompliziert.“

Zwei Tage später kommt es zu einem Gespräch.

„Wir haben darüber gesprochen, was Sicherheit am Arbeitsplatz bedeutet. Es geht nicht nur um Unfallfreiheit. Ein unsicheres Gefühl fängt viel früher an. Aber wer traut sich schon, das anzusprechen, solange alles gut zu laufen scheint?“

Philipp behandelt den Vorfall nicht nur aus der Perspektive des Arbeitsschutzes. „Oft sind Unfälle ein Hinweis darauf, dass die Zusammenarbeit oder die Kommunikation im Team nicht stimmen.“ Philipp hat darum ein Gespräch über den Umgang mit Nicht-Wissen angeleitet.

„Es geht darum, offen mit Wissenslücken umzugehen – und zwar nicht nur mit den bereits erkannten. Besonders wichtig ist es, vermeintliches Wissen zu hinterfragen, das man bei sich selbst oder Kollegen voraussetzt.“

Gemeinsam mit Philipp konnten die betroffenen Handwerker die Entstehung der Situation als eine Kette von Fehlern im Umgang mit Nicht-Wissen rekonstruieren. Anschließend simulierten sie eine ähnliche Situation, um zu üben, wie sie besser kommunizieren könnten.

Ein weiterer Schwerpunkt der philosophischen Intervention betraf den Punkt der psychologischen Sicherheit. Philipp erläutert: „Wenn du das Gefühl hast, du kannst auch einmal etwas Dummes sagen, dann erhöht es das Vertrauen im Team und reduziert das Risiko für Fehler aufgrund von Betriebsblindheit.“ Große Unternehmen wie Google haben in ihrer internen Forschung herausgefunden, dass das ein Schlüsselfaktor für effektive Teamarbeit ist.

Um dort anzusetzen, griff Philipp auf die Methode der paradoxen Intervention zurück. So hat er die anfängliche Weigerungshaltung des Facharbeiters explizit gelobt. „Er hat den ersten Schritt getan und damit etwas sichtbar gemacht, was sonst unter der Decke geblieben wäre.“ Und nicht nur der verletzte Mitarbeiter, auch die betroffene Hilfskraft hat eine kleine Auszeichnung erhalten. „Wer konstruktives Verhalten sehen möchte, muss auch Anerkennung dafür ausdrücken.“

Nach der Besprechung erklärt sich der Facharbeiter wieder bereit, auf der Baustelle zu arbeiten. Das Team hat sich geeinigt, zu dem Thema noch einmal zusammenzukommen und ein Konzept zur besseren Einarbeitung von Hilfskräften zu entwickeln.

„Die philosophische Gesprächsführung fördert Neugier durch Perspektivwechsel“, erklärt Philipp. „Entgegen der verbreiteten Meinung führt Abstraktion nicht vom Konkreten weg, sondern ermöglicht eine Neubetrachtung der Situation. Diese Methode der Re-Konkretisierung kann sehr kraftvoll sein.“

Berlin Mitte, 6. März 2026

Inzwischen ist über ein Jahr vergangen, seit wir Philipp und die Firma INNOVA das erste Mal besucht haben. Zu unserem letzten Treffen hat Philipp mich zu einem Spaziergang mit Geschäftsführer Bremer eingeladen. Was zunächst nach einem Freizeittreffen klingt, ist inzwischen eine wöchentliche Arbeitsroutine im Austausch zwischen Philipp und Herrn Bremer. Das Format des Philosophierens in Bewegung geht auf die antike Schule der Peripatetiker zurück.

Ich möchte von den beiden wissen, wie sie im Umgang mit dem Fachkräftemangel vorangekommen sind. INNOVA hat inzwischen ein internes System implementiert, mit dem Mitarbeiter nicht nur Wissen und Fertigkeiten teilen können, sondern sich beim Erwerb neuer Expertise unterstützen und anleiten können. So konnte die Firma in einem Jahr fünf Mitarbeiter intern weiterbilden. Auch zwei Fachkräfte wurden gewonnen. Ein Fachmann für Heizungsinstallation wurde dabei über einen Kundenkontakt während einer Sanierung gefunden. „Man könnte sagen: ein glücklicher Zufall“, sagt Geschäftsführer Bremer. Und doch: mehr als nur ein Zufall. „Der Austausch mit unseren Kunden ist intensiver geworden. So kam dieser Arbeitsvertrag zustande.“

Und wie bewährt sich die interne Weiterbildung bislang? „Dass wir unsere Mitarbeiter anspornen, sich neue Fertigkeiten und Qualifikationen anzueignen, ist jetzt Teil einer umfassenderen Strategie. Solange der Arbeitsmarkt so kritisch für uns bleibt, ist das eine der besten Möglichkeiten, in unsere Zukunft zu investieren.“

So wie die Firma INNOVA Eigenheime saniert, scheint es, hat sie auch sich selbst, ein wenig, renoviert. Philipp hat in fast alle Geschäftsbereiche Einblick erhalten, er war in vielen Gesprächen involviert, hat unzählige Fragen gestellt, Anmerkungen gemacht und Prozesse mitgestaltet. Und doch sagt er: „Mein Ziel ist es nicht, im Unternehmen anzukommen. Es gehört zu meiner Rolle, Distanz zu wahren. Erst aus dieser Freiheit heraus kann ich mir Urteile erlauben, die anderen vielleicht gar nicht möglich wären.“

Der Spaziergang mit Herrn Bremer endet hier. Philipp und ich setzen uns noch auf eine Bank. Wie geht es nun weiter? „Ich werde auf jeden Fall noch bis Jahresende hier blieben. Danach wird man sich zusammensetzen und schauen, ob die Firma weiter Bedarf an meiner Tätigkeit sieht. Ein Philosoph hat eine Aufgabe in einem Unternehmen immer nur auf Zeit.“ In unserem Gespräch wird mir klar, wie sehr ich die Befristung einer Stelle bislang als etwas Negatives gesehen habe. „Es ist die vornehme Aufgabe des Philosophen, seinen Abgang selbst zu bestimmen. Nämlich dann, wenn er die Lust oder den Anreiz verliert, neue Fragen zu stellen.“

Zuletzt weiten wir noch einmal den Blick und sprechen über die Zukunft der Philosophie in Unternehmen. Immer wieder konnte man in den letzten Jahren lesen, dass gerade große Unternehmen die Rolle des „Chief Philosophy Officer“ (CPO), einer Art philosophischem Manager neuen Typus’, einführen wollen. Und in Wien gibt es einen ersten Studiengang, der auf so eine Tätigkeit vorbereiten soll. Das Experiment bei INNOVA zeigt, dass die Philosophie im Unternehmen auch anders verstanden werden kann.

„Die Rolle des CPO zielt auf große Unternehmen. Das ist etwas, das man im Silicon Valley ausprobiert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Philosophie in kleineren Unternehmen sehr gut andocken kann.“ Woran liegt das? „Kleine Unternehmen sind wendiger. Es gibt hier noch die berüchtigten kurzen Wege. Die meisten Mitarbeiter kennen einander noch beim Vornamen. Flexibilität ist ein notwendiger Bestandteil der Firmenkultur. Das sind gute Rahmenbedingungen für die Philosophie.“

Ich hake ein letztes Mal nach. Ist das nicht falsche Bescheidenheit? „Ich glaube nicht. Die Philosophie zielt zwar auf das Ganze; aber nicht aufs große Ganze, sondern aufs kleine Ganze. Versucht sie darüber hinauszugehen, verliert sie sich.“ Erst ganz zum Schluss gewinne ich den Eindruck, dass es Philipp nicht nur um die Philosophische Praxis geht. Es geht auch um eine Erneuerung der Philosophie selbst. Philipp nickt. „Vielleicht sogar eine Kernsanierung.“

Anmerkung: Dieser Beitrag ist eine fiktionale Reportage. Orte, Firmennamen, Charaktere und Zitate beruhen nicht auf wahren Tatbeständen. Die fiktiven Elemente dienen dazu, die Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas in einer ansprechenden und zugänglichen Weise darzustellen. Trotz der fiktiven Elemente wurde der Text sorgfältig recherchiert, um die Fakten und Trends im Bereich der energetischen Sanierung und der Rolle von Philosophie in Unternehmen möglichst realistisch abzubilden.

Zum Weiterlesen:

  • Gerd B. Achenbach: „Philosophie der Philosophischen Praxis: Einführung“, Nomos, 2023.
  • Frédéric Laloux: „Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness“, Nelson Parker, 2014.
  • David Brendel und Ryan Stelzer: „Think Talk Create“, PublicAffairs, 2021.
  • Michael Niehaus und Roger Wisniewski: „Management by Sokrates“, Cornelsen Verlag, 2009.
  • Sören E. Schuster: „Chief Philosophy Officer“, Institut für Wirtschaftsgestaltung, https://cpo-blog.com/

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Bildnachweis: Foto von Monica Silvestre bei Pexels (Link)

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