Muttertag – eine Nachlese

Eigentlich „braucht es nicht viel, um Kindern zu geben, wovon sie ihr Leben lang zehren“, schreibt die ZEIT zum Muttertag auf dem Hintergrund von Gustav Klimts „Mutter und Kind“ (1905). Wir machen also einfach zu viel vom Falschen, sonst wären wir nicht so gestresst. In Wirklichkeit ist es gar nicht so schwer. Entspannt euch mal, Mütter! Vielleicht dachte sich das auch Klimt, als er mindestens sechs Kinder mit unterschiedlichen Frauen zeugte, die Sorge aber natürlich den Müttern überließ (die genaue Anzahl von Müttern und Kindern ist nicht bekannt).

Was Kinder aber genau von ihren Müttern brauchen, was angeblich nicht viel ist, wird beim Lesen leider nicht so klar, wie auf der Titelseite versprochen. Im Magazin geht Ileana Grabitz auf fünf Textseiten der Frage nach, ob sie eine gute Mutter ist oder zu viel vom Leben will. Als biographische Metapher dient ein Marathon, den sie schwanger antrat, obwohl sie vor gesundheitlichen Folgen für das Ungeborene gewarnt wurde. Beim Laufen war sie zugleich voller Vorfreude und ängstlicher Sorge. So scheint ihr Leben in Führungsposition mit drei Kindern und Mann auch zu sein: sehr anstrengend, von Ehrgeiz geprägt, aber gleichzeitig erfüllend.

Auf halber Strecke hadert Grabitz mit ihrem Muttersein. Ist sie ihren Kindern ein gutes Vorbild? Hat sie genug Zeit für sie? Je älter sie wird, sagt sie, desto mehr hinterfrage sie ihren Lebensentwurf. Sie arbeitet Vollzeit und will dennoch eine Mutter sein, die immer für die Kinder da ist. Aufgaben, die früher zwei Leben füllten. Ihr Mann arbeitet zwar weniger und kümmert sich ebenfalls um die Kinder, sie traut ihm aber schlicht nicht zu, alles so gut zu machen wie sie selbst. Er kann nicht einmal die Brotboxen für die Kinder packen: zu ungesund, zu viel Plastik. Was die Schule angeht, verliert er den Überblick. Welches Kind hatte nochmal welche Lehrerin? Kurz und gut: Er ist ein ein schlechter Mutterersatz – und sie unentbehrlich.

Grabitz lässt sich von verschiedenen Expert*innen belehren: vom Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort, der feststellt, dass sich die mütterliche Erschöpfung auf Kinder übertragen kann und zu Frustration wird („mutlose Mädchen“) und der Erziehungsiwssenschaftlerin Margrit Stamm, die rät, man solle gar nicht erst versuchen, das Ideal einer perfekten Mutter zu verwirklichen. Die Generationenforscherin Sabine Bode erläutert, dass Leistungsstreben und Kontrollwahn der Autorinnengeneration auf vererbte Kriegstraumata zurückzuführen seien.

Um dem angeblichen Kontrollwahn auf die Spur zu kommen, wäre es sicher hilfreich, sich mit den Vätern zu unterhalten. Wie mag der Mann der Autorin es beispielsweise finden, im ZEIT-Magazin zu lesen, dass er nicht einmal eine gesunde Brotdose vorbereiten kann? Dass er nicht zum Elternabend gehen darf? Ruht er sich in seiner vermutlich erlernten Hilflosigkeit aus oder fühlt er sich zurückgesetzt? Aber natürlich lassen sich die grundsätzlichen Probleme nicht auf individueller Ebene lösen.

Im Artikel wird also erklärt und analysiert, aber, nicht überaschend: Es gibt kein Patentrezept für eine gute Mutter, keine perfekte Zusammensetzung von Sorge, Erwerbsarbeit und self care.

Auch das Interview mit dem Entwicklungsforscher Oskar Jenni im Wissensteil der ZEIT verrät uns nicht, was eine „gute Mutter“ ist. Der Experte betont immerhin, Eltern sollten ihre Bedeutung für die Entwicklung ihrer Kinder nicht überschätzen. Solange grundsätzliche Dinge wie Vertrautheit, Verfügbarkeit, Verlässlichkeit, Verständnis und viel Liebe (die „5 V“) einigermaßen gegeben seien, täten sie genug.

Der Tagesspiegel widmet sich am Muttertagswochenende ebenfalls der Frage, warum die meisten Mütter nicht das Gefühl haben, „nicht viel“ zu geben, wie es im ZEIT-Titel heißt. Vielmehr, so Lin Freitag, greift unter Eltern und besonders Müttern Erschöpfung um sich. Grund dafür ist – natürlich – die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Freitag schreibt vom Phänomen des „Tradwifes“, der traditionellen Ehefrau, die mit Haushalt und Kindern beschäftigt ist und davon ästhetische Bilder und Videos aufnimmt. Sie haben Millionen Follower auf social media. So manche Frau scheint sich nach einem Leben mit klarer Aufgabenteilung und „weniger Kompromissen“ zu sehnen oder sich zumindest gerne ab und an dort hinzuträumen.

Grabitz und Freitag setzen zwar unterschiedliche Schwerpunkte. Aber sie beenden ihre Artikel nicht zufällig beide mit demselben Ausblick: Sie zitieren die Soziologin Jutta Allmendinger, die seit Jahren Arbeitsteilung in Familien erforscht. Sie schlägt eine 32-Stunden-Woche für alle bei verlängerter Arbeitszeit vor, sodass Männer und Frauen die Möglichkeit haben, sich in beiden Bereichen zu verwirklichen oder zumindest teilzuhaben. Ob das die Lösung wäre? Könnten wir uns dann tatsächlich entspannen und das schlechte Gewissen ablegen? Ich bezweifle es. Aber es könnte ein erster Schritt sein und auch so manchen Vater erfreuen.

Es ist schwer, die Ungewissheit auszuhalten, ob wir unseren Kindern „genug“ sind und ein gutes Vorbild abgeben. Fest steht: Auf unserer Beerdigung wird uns keiner die Frage beantworten: „Wie war ich?“ Es wird keine Note geben, kein Empfehlungsschreiben der Kinder und kein Resümee am Ende des Lebens, wie man sich geschlagen hat. Die ZEIT gibt uns sicher auch keine Antwort.


Quellen:

https://www.zeit.de/zeit-magazin/2024/21/mutterschaft-gute-mutter-sein-familie-betreuung

https://www.zeit.de/2024/21/kindererziehung-entwicklung-eltern-verunsicherung/seite-2#:~:text=Jenni%3A%20Eltern%20gehen%20davon%20aus,weit%20geringer%20als%20gemeinhin%20angenommen.

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/sehnsucht-nach-traditionellen-rollenbildern-manchmal-ware-ich-gerne-hausfrau-11565977.html

Empfehlung eines Muttertagsartikels, der auch das Klimt-Bild kommentiert:

https://54books.de/vertraeumt-verhuellt-verfuegbar-darstellungen-von-mutterschaft-und-der-irrtum-absoluter-erfuellung/

Ein Kommentar zu „Muttertag – eine Nachlese

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